Mehr Eigenständigkeit, mehr Aktivierung, mehr Mitgestaltung der Studierenden, mehr asynchrone Lehre und somit eine abwechslungsreiche und vielseitige Lehre – auch im Distance Learning.
Durch das Coronavirus findet Lehre nun von einem Tag auf den anderen online statt – im Distance Learning. Lehrende mussten ihre Veranstaltung von heute auf morgen auf 100% digital umstellen. Diesen Schritt meisterten die Lehrenden an der BFH mit Bravour: Sie haben hohe Flexibilität gezeigt, waren offen für Neues und extrem engagiert.
Nun ist der Moment gekommen, auf diese Zeit der Umstellung zurückzublicken und sich zu fragen: Welche Auswirkungen hat es, wenn wir eine analoge Lehrveranstaltung 1 zu 1 online abbilden? Wie können wir die Studierenden mehr miteinbeziehen? Wie könnte die Fernlehre optimiert werden? Welche Schlüsse können wir daraus ziehen?
Die Studierenden – von einem Live-Stream zum nächsten
Um die kurzfristige Umstellung zu bewältigen, wurde die bisherige Lehrveranstaltung meist zuerst wie im Kontaktstudium durchgeführt, nur eben online: aktuell dominieren synchrone Live-Veranstaltungen auf MS Teams, Zoom und anderen Videokonferenztools die Lehre. Was bedeutet das für den Lehr-/Lernalltag? Lehrende können sich nach einer zweistündigen Veranstaltung meist anderem widmen. Bei den Studierenden sieht das anders aus, sie springen aktuell häufig von einem Live-Stream-Termin zum nächsten. Das bedeutet, dass sie oft den ganzen Tag damit verbringen, Lehrende ihren Bildschirm zu beobachten.
Durch die Live-Veranstaltungen sind die Studierenden zeitlich gebunden und im Lernprozess eher passiv. Sie brauchen viel Konzentration und Motivation um dran zu bleiben, da Live-Veranstaltungen nur tiefe Selbstregulation erlauben. Auch wenn die Live-Veranstaltung ein soziales Event vorgaukelt, sitzen die Studierenden alleine vor den Bildschirmen. Was analog funktioniert hat, fühlt sich digital plötzlich wie ein Selbststudium an.
Die Live-Bild-Übertragung benötigt eine hohe Rechnerleistung, wodurch Personen mit älteren Geräten und schwächerem Internet benachteiligt sind. Die hohe Bandbreite führt auch zu einer hohen Belastung der Tools und da momentan viele Hochschulen auf dieselben Tools zugreifen, kommt es immer wieder zu Unterbrüchen oder gar Abstürzen der Anwendung, was zu Unruhe führt durch die Reorganisation der Gruppe.
Distance Learning – wohin wollen wir?
Aus didaktischer Sicht: Lernen soll auch online vielseitig und abwechslungsreich sein. Die Studierenden sollen aktiv sein und den Lernprozess selbst strukturieren und gestalten können, heisst mehr Möglichkeit zur Selbstregulation erhalten. Das bedeutet auch, dass sie den Zeitpunkt des Lernens vermehrt selbst bestimmen können sollen. Da die Situation einem Selbststudium gleicht, braucht es zusätzlich gute Anleitung, Begleitung und Struktur um die Studierenden zu stützen.
Asynchrone Lehre soll demzufolge mehr zum Einsatz kommen und ein sinnvoller Wechsel der Interaktionsmöglichkeiten angeboten werden (synchron – asynchron, mit Bild und Ton – mit Text, im Selbststudium – in Kleingruppen – im Plenum). Es ist es wichtig, dieses Lernen sehr gut zu unterstützen und zu begleiten, indem der Lernprozess strukturiert, Aufträge und Abläufe exakt beschrieben und das Lernen eng begleitet wird. Für letzteres können gezielt synchrone Möglichkeiten genutzt werden, um den aktuellen Stand der Studierenden zu überblicken, Produkte und Arbeiten der Studierenden zu besprechen und etwas vorzuzeigen, wo direkte Nachfragemöglichkeit bestehen soll.

Aus technischer Sicht: Die Zugänglichkeit soll erhöht werden, damit auch Studierende mit schwächeren Geräten und Leitungen profitieren und Abstürze verhindert werden. Deswegen sollen gezielt auch Möglichkeiten mit tiefer Bandbreite und mit wenigen Kanälen (z.B. nur Chat, nur Video) statt nur die Kombination mehrerer (wie z.B. in einem Live-Stream mit Gruppenchat) verwendet werden.
Es empfiehlt sich ausserdem, Wechsel zwischen diversen Medien (von Bild, zu Ton, zu Chat, zu anderem Chat) zu reduzieren. Dazu gehört auch eine durchgängige und auf möglichst wenige Orte reduzierte Ablage und Dokumentation von Unterlagen und Unterhaltungen. Wenn die Studierenden wissen, was sie wo finden, dann fällt es ihnen leichter sich zu orientieren.

Welches sind die weiteren Schritte?
Erhöhen Sie die Selbstregulation: Dies können Sie, indem Sie die Studierenden den Lernprozess selbst mitgestalten lassen und sie aktivieren. Geben Sie dazu klare Aufträge, bei denen die Studierenden ein relevantes Produkt erarbeiten, das sie möglicherweise sogar selbst aussuchen (eine eigene Visualisierung, eine Videoanalyse, ein Mind-Map etc.). Darauf soll unbedingt ein Feedback folgen, das zeigt den Studierenden ihren Lernstand auf.
Bieten Sie Begleitung, Transparenz und Struktur: Wichtig ist auch eine klare Struktur, Anleitung und Beschreibung. Kommunizieren Sie dazu gut, was die Studierenden wo finden, was sie mit den Materialien machen sollen, und wann sie sich in welchem Tool einfinden sollen. Überlegen Sie auch, wie Sie die Dokumentation und Ablage möglichst durchgängig und einheitlich gestalten können. Wenn Sie noch Medienbrüche vermeiden, indem Sie beispielsweise Moodle in MS Teams einbinden, sorgt das dafür, dass Studierende alles zu ihrem Modul an einem Ort finden können. Denken Sie auch daran, festzulegen und zu kommunizieren, auf welchem Kanal ihre Studierenden Sie kontaktieren können und wo und in welcher Form sie Unterstützung erhalten können.
So wissen die Studierenden jederzeit, was sie wo finden, was sie damit machen sollen und dass Sie Hilfe und Unterstützung erhalten.
Schaffen Sie höhere Zugänglichkeit: Diese wird erhöht, indem Sie mehrere Lernwege anbieten. In der analogen Variante wurden bisher beispielsweise die Vorlesung und die Folien oder ein Skript dazu angeboten. Genau dasselbe können Sie auch digital machen und so zusätzlich zu Ihrer Live-Veranstaltung noch ein Skript anbieten. Dadurch ist auch die Bandbreite tiefer, als wenn Sie zu einer Live-Veranstaltung noch eine Aufzeichnung dieser mitliefern, welche nochmals denselben Lernweg bedient.
Nutzen Sie asynchrone Möglichkeiten: Mit asynchronen Lernmitteln können Studierende den Lernprozess eher mitgestalten. Damit können sie den Zeitpunkt ihres Lernens sowie das Tempo des Lernprozesses selbst bestimmen. So kann ein Screencast (vorproduziertes Video) beispielsweise jederzeit gestoppt und nochmals wiederholt werden, eine Live-Veranstaltung hingegen nicht. Eine Diskussion in einem Forum ist entschleunigend und führt damit zu einem tieferen und überlegteren Austausch als ein Chat.
Eine abwechslungsreiche und zugängliche Lehre bedeutet, (a)synchrone Lernszenarien und den Grad der Selbstregulation der Studierenden zu variieren. Das heisst auch, dass kein Lernszenario die Lehre stark dominieren soll, denn sonst wird sie einseitig und monoton. Deswegen plädieren wir dafür, die verschiedenen Möglichkeiten didaktisch überlegt und gezielt einzusetzen.
Fazit: Ob asynchron, synchron, mit hoher oder tiefer Selbstregulation und hoher oder tiefer Bandbreite – der Mix und die Vielfältigkeit sowie der didaktisch überlegte Einsatz aller Möglichkeiten machen eine gute Lehre aus, das gilt auch für das Distance Learning.
Für BFH-Interne gibt’s hier noch mehr zum Distance Learning.
Weiterführende Links für alle:
Was ist selbstreguliertes Lernen?
Warum ist selbstreguliertes Lernen wichtig?
Selbstbestimmungstheorie der Motivation
2 Comments
Jasper
Vielen Dank für die Zusammenstellung!
Die zweite Grafik suggeriert für mich, dass vorproduziertes Video höhere Anforderungen an die Verbindung stellt als Live-Vorlesung; Das finde ich nicht ganz schlüssig. Oder soll die Position in den Quadranten keine Differenzierung mehr darstellen?
gzi1
Lieber Jasper
das ist in der Tat so. Je nachdem was für ein Video ich produziere, kommen da schon viele Daten zusammen. Im schlimmsten Fall, sind wir da bei ein paar GB die ich dann hochlade muss. Hier wird meine Internetverbindung stark beansprucht werden – im Upload, welches bekanntlich meistens kleiner ist als der Download. Da funktioniert auch ein „Best Effort“ nicht im Netz, da alle Daten hochgeladen werden müssen.
Punktuell belastet also so etwas meine Bandbreite doch sehr.
Bei einer Live-Vorlesung, hat meistens nur die Lehrperson die Kamera an und in der Mitte noch Folien. Das Video wird live übertragen – keine Speicherung – und man nimmt „Best Effort“ des Netzes im Kauf. Das Video schwankt also hin und wieder in Qualität, was meistens nicht tragisch ist, solange der Ton gut und verständlich ist.
Hilft dir das weiter?
Lieben Gruss
Ioana Gatzka